Hintergrund.

Depressionen im Alter sind häufig, oft unterdiagnostiziert, schwer behandelbar und assoziiert mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Identifikation modifizierbarer protektiver Faktoren. Zwar konnten frühere Studien positive Effekte kultureller Betätigung auf eine bereits bestehende Depression zeigen, jedoch existiert bislang wenig Evidenz zur Frage einer präventiven Wirkung. Daher untersuchte die vorliegende Arbeit, ob kulturelle Aktivität bei Älteren mit einem reduzierten Depressionsrisiko in der Folgedekade assoziiert sein könnte.

Methodik.

Es wurden Daten aus 6 Erhebungswellen der großen, repräsentativen English Longitudinal Study of Ageing (ELSA) analysiert. Die Erhebungen erfolgten jeweils im Zweijahresintervall in der Dekade von 2004/2005 bis 2014/2015. Die kulturelle Betätigung wurde in Welle 2 als selbstberichtete Frequenz der Besuche von 1) Theater/Konzert/Oper, 2) Kino und 3) Museum/Galerie/Ausstellungen erfragt. Die Antworten wurden in einer Fünfpunkteskala („nie“ – „weniger als einmal im Jahr“ – „ein- oder zweimal im Jahr“ – „alle paar Monate“ – „einmal im Monat oder öfter“) zusammengefasst. Eine Depression wurde zweigleisig festgestellt: Einerseits wurde bei jeder Welle die validierte Centre for Epidemiologic Studies Depression Scale (CES-D) in der Achtitemversion eingesetzt, andererseits wurden die Teilnehmer bei jeder Welle befragt, ob seit dem letzten Erhebungszeitpunkt ärztlich eine Depression diagnostiziert wurde. Begleitend wurden zahlreiche soziodemografische, medizinische und psychosoziale Kovariablen erhoben. Alle Personen mit depressiver Symptomatik, ärztlicher Depressionsdiagnose oder -behandlung bei oder vor Baseline wurden von der Auswertung ausgeschlossen.

Ergebnisse.

Insgesamt wurden 2148 Teilnehmer in die Studie eingeschlossen, davon 52 % Frauen. Das mittlere Alter lag bei 63 Jahren (Spanne 52 bis 89 Jahre). In der Folgedekade entwickelten 616 (28,7 %) eine Depression, was einer durchschnittlichen Inzidenzrate von 3,3/100 Personenjahre entspricht. Diese Rate lag bei Personen, die sich nie, weniger als einmal/Jahr oder nur ein- bis zweimal im Jahr kulturell betätigten, höher (5,17, 3,80 bzw. 3,47). Insgesamt zeigte sich eine inverse Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen der Frequenz der kulturellen Aktivität und der Depressionsinzidenz, und das unabhängig von den berücksichtigten Kovariablen. Dies resultiert in einer signifikanten Risikoreduktion um 32 % (OR 0,68, 95 %-KI 0,47–0,99, p = 0,046) bei kultureller Aktivität „alle paar Monate“ bzw. um 48 % (OR 0,52, 95 %-KI 0,34–0,80, p = 0,003) bei einer Frequenz von „einmal im Monat oder öfter“. Diese Ergebnisse blieben in allen statistischen Sensitivitätsanalysen robust.

Diskussion.

Die vorliegende Arbeit ist die erste Longitudinalstudie mit Nachweis einer inversen Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen der Frequenz von kultureller Aktivität und dem späteren Depressionsrisiko bei Älteren. Ihre wesentlichen Stärken liegen in dem umfangreichen Datenset, inkl. Berücksichtigung zahlreicher Kovariablen. sowie dem langen Erhebungszeitraum. Eine Limitation ist, dass sie als Beobachtungsstudie zwar longitudinale Assoziationen aufzeigen, jedoch keine Kausalität beweisen kann.